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Große Herausforderungen lassen sich am besten mit vereinten Kräften angehen. Und große Veränderungen gelingen mit dem Ansatz des “systemischen Wirkens”. Wie sich beides in der Praxis vereinen lässt, zeigen die Collective-Impact-Projekte der Duisburger Haniel Stiftung. Wir haben uns mit der Projektmanagerin Mira Grub darüber unterhalten.

Systemisches Wirken – wie definiert ihr diesen Begriff innerhalb der Haniel Stiftung?   

Mira Grub: Für uns hat der Ausdruck zwei Dimensionen. Im Collective-Impact-Projekt “Bildung als Chance” (bestehend aus den vier unterschiedlichen Partnern Teach First Deutschland gGmbH, Chancenwerk e.V., apeiros e.V. und der Haniel Stiftung) stellen wir selbst ein System dar, das nach außen genau wie nach innen eine Wirkung erzielt. Unsere Ziele sind Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und solide Abschluss- und Anschlussmöglichkeiten für unsere Zielgruppe der Schüler*innen.

Gleichzeitig wirken wir als Collective-Impact-Projekt seit 2009 auch auf ein anderes System ein: auf das Schulsystem in Duisburg und seit 2019 auch in Hamburg. Dabei ist es wichtig, ständig mit den teilnehmenden Schulen in Kontakt zu stehen und sich darüber hinaus auch eng mit der Kommune zu vernetzen – insbesondere mit den Bildungsbüros und Kommunalen Integrationszentren. Nur so können wir als lebendiges “Projekt-System” auf das System der Bildungslandschaft in der Stadt einwirken.

Uns ist es dabei wichtig zu betonen, dass wir wie auch die Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, eher einen “Bottom-up”-Ansatz verfolgen. Unser Ziel ist dabei, individuell auf die einzelnen Schüler*innen einzuwirken, um dadurch letztendlich eine Wirkung aufs große Ganze, das “System Schule” zu erreichen. 

Warum ist “Systemisches Wirken” ein erfolgsversprechender Ansatz?  

Mira Grub: Komplexe Probleme können nicht mit eindimensionalen Lösungen angegangen werden. Wenn man großen gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen möchte, ist “systemisches Wirken” eine Grundvoraussetzung. Als Organisation oder Stiftung muss man immer von der gesellschaftlichen Ausgangslage her denken und stets reflektieren: Was wollen wir eigentlich erreichen und welches Problem soll damit gelöst werden?

Das funktioniert nur mit systemischen Ansätzen, bei der viele verschiedene Stakeholder mit ins Boot geholt werden – wie zum Beispiel aus Politik, Vereinswesen oder auch der Wirtschaft. Man darf nicht zu sehr als “Einzelkämpfer” unterwegs sein, der nicht über den Tellerrand hinausschaut. Man muss sich gut vernetzen und stets im Austausch mit anderen relevanten Akteuren stehen.  

Wie setzt ihr diesen Ansatz in eurer Arbeit um? 

Mira Grub: Das Ziel bei unserer Arbeit ist es jederzeit, die Schulen mit unseren Angeboten nicht zu belasten, sondern zu entlasten und eine sinnvolle Ergänzung zum alltäglichen Betrieb darzustellen. Ein gutes Beispiel ist hier die Software von apeiros zum Tracken von Fehlzeiten von Schüler*innen. Sie soll Abläufe an der Schule erleichtern, die zuvor noch aufwendig und meist händisch mit dem Klassenbuch erledigt werden mussten.

Auf die Bedarfe der jeweiligen Schule muss dabei jederzeit individuell eingegangen werden. So gibt es beispielsweise auch bei den Teach First Fellows unterschiedliche Stellenprofile, die je nach Einsatzschule variieren können, um so die optimale Unterstützung für die jeweilige Einsatzschule zu erzielen. Es gibt etwa Fellows, die sich auf neu zugewanderte Kinder und Jugendliche fokussieren und ihnen Deutsch beibringen, andere unterstützen eher Jugendliche aus der zehnten Klasse bei Abschluss und Anschluss in die Zeit nach der mittleren Reife.

Im besten Fall entsteht eine aufeinander aufbauende Wirkungskette



Die “Lernkaskade” von Chancenwerk rundet diese Unterstützungsmöglichkeiten für die Jugendlichen darüber hinaus wunderbar ab, sodass im besten Fall eine aufeinander aufbauende Wirkungskette der drei Organisationen an den Schulen entsteht. 

Wie weit verbreitet ist der systemische Ansatz eurer Erfahrung nach im gemeinnützigen Sektor in Deutschland?  

Mira Grub: Wir von der Stiftung haben den Eindruck, dass sich der systemische Ansatz in Deutschland in den letzten Jahren im gemeinnützigen Sektor immer stärker verbreitet hat. Immer öfter hört man von “Collective Impact” oder “Partnering”-Projekten, bei denen sich verschiedene Akteure zusammengeschlossen haben, um gemeinsam komplexe Herausforderungen anzugehen, und auf ein bestehendes System einzuwirken.

Auch Netzwerke – die sicherlich schon immer wichtig waren – werden noch wichtiger. Wir hören von unseren Partnerorganisationen immer öfter, wie gut sie inzwischen auch in anderen Kommunen und Ländern außer Duisburg und NRW vernetzt sind, mit politischen Akteuren, Unternehmen, anderen Organisationen und so weiter.

Gemeinsames Wirken und die Ausweitung von Netzwerken stellen darüber hinaus inzwischen einen festen Teil der Strategie dieser Organisationen dar. Corona scheint das trotz Kontaktbeschränkungen eher noch befördert zu haben. Gerade in der Krise wollen viele erst recht zusammenarbeiten, haben den Vorteil davon erkannt, und in virtuellen Videocalls ist es einfacher geworden, sich “mal eben” zu treffen.  

Fällt dir spontan ein besonders herausragendes Beispiel für systemisches Wirken in Deutschland ein? 

Mira Grub: Ein gutes Beispiel für eine Stiftung in Deutschland, die sehr stark den systemischen Ansatz verfolgt und mit der wir regelmäßig in Kontakt stehen, ist für uns die Wübben Stiftung. Sie verfolgt im Gegensatz zu uns eher einen “Top-down”-Ansatz, kooperiert sehr viel direkt mit Ämtern und Kommunen und bewegt konkret dort an “oberer Stelle” etwas – beispielsweise bei der Etablierung der Familiengrundschulzentren in NRW oder bei der Entstehung des “Bildungsfairbunt” in Duisburg-Marxloh. Hier handelt es sich ganz klar um erfolgreiches systemisches Wirken im Bildungssektor, allerdings in etwas anderer Form als wir es in unseren Projekten tun. 

Kannst du uns etwas mehr über das Collective-Impact-Projekt “Bildung als Chance” erzählen? 

Mira Grub: Mit dem Projekt wirken wir schon seit 2009 gemeinsam mit drei Partnerorganisationen in der Stadt Duisburg. Beteiligt sind um die 20 Schulen, und auch mit der Kommune und verschiedenen kleineren Organisationen aus Duisburg sind wir im Rahmen des Projekts immer wieder im Gespräch. So behalten wir den Überblick über die Bildungslandschaft der Stadt. Der Familie Haniel ist es wichtig, dass wir uns bei unserer Arbeit hauptsächlich auf ihre Heimatstadt Duisburg und dort lebende benachteiligte Schüler*innen konzentrieren.

Es gibt nicht den einen Masterplan, es müssen immer die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden



Das Beispiel Hamburg, wo das Projekt von verschiedenen dort ansässigen Förderpartner*innen finanziert wird, zeigt jedoch, dass das Konzept auch in anderen Städten funktionieren kann. Trotzdem müssen immer auch die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden – es gibt nicht “den einen Masterplan” für ein Collective-Impact-Projekt. Ein weiteres, etwas kleineres Projekt stellt das ebenfalls seit 2009 bestehende Aletta Haniel Programm (AHP) dar.  

Worum geht es beim Aletta Haniel Programm? 

Mira Grub: Damit sind wir zwar nur an einer Schule aktiv, dafür ist die Arbeit dort sehr intensiv und stößt qualitative Veränderungen im “System Schule” ganz lokal vor Ort an. Bei dem Projekt geht es vor allem um Berufsorientierung, Stärkenfindung und einen Anschluss nach dem Abschluss für die teilnehmenden Schüler*innen. Dabei arbeiten wir eng mit dem Kommunalen Integrationszentrum in Duisburg zusammen. Die Stadt Duisburg beteiligt sich außerdem finanziell an dem Programm, das in der Region inzwischen auch einen hohen Bekanntheitsgrad genießt.

Die Mitarbeitenden des Aletta Haniel Programms (AHP) sind bei der Stadt bzw. beim Kommunalen Integrationszentrum angestellt, wodurch letzteres ein ebenso wichtiger Träger des Programms darstellt wie wir als Stiftung. Durch die Jahre ist hier ein großes Netzwerk in und um Duisburg herum entstanden: gute Kontakte zu verschiedenen Unternehmen, Vereinen und anderen Trägern, mit denen wir uns regelmäßig auf Tagungen oder auf Berufsorientierungsmessen treffen, die vom AHP-Team organisiert werden. Dadurch hat das Programm eine große Strahlkraft nach außen erreicht und begrenzt sich nicht nur auf die Schulmauern der Aletta-Haniel-Gesamtschule. 

Wie lässt sich die systemisch wirkende Rolle der Haniel Stiftung in den beschriebenen Projekten am besten beschreiben? 

Mira Grub: Die Rolle der Haniel Stiftung in unseren “Systemisch wirken”-Projekten ist natürlich einerseits eine ideelle und finanziell fördernde. Andererseits geht unsere Rolle darüber jedoch auch hinaus, indem wir sehr stark moderierend und koordinierend tätig sind und ständig mit unseren Partner*innen im Gespräch.

Hierfür wurde vor einigen Jahren sogar in der Stiftung eine eigene Vollzeitstelle geschaffen: die Projektkoordination für den ganzen Bereich der Bildungsprojekte, allen voran “Bildung als Chance”. Die Koordinatorin spricht in regelmäßigen Terminen mit den Projektpartner*innen über den aktuellen Stand der Projekte und anstehende To-dos, Ziele werden immer wieder reflektiert. In einer Arbeitsgruppe bestehend aus Mitarbeitenden der verschiedenen Organisationen und der Stiftung entstand auch eine gemeinsame Wirkungsmessung, bei der die Projektkoordinatorin moderierend sowie inhaltlich beteiligt war. Hier fand auch eine intensive Zusammenarbeit mit dem “Bildung als Chance”-Team in Hamburg statt.

Wir von der Stiftung verstehen unsere Rolle folglich nicht nur als die der finanziellen Förderpartnerin, sondern als aktives Mitglied in der Projektarbeit und in den damit verbundenen Arbeitsprozessen. Auch dies stellt aus unserer Sicht einen Aspekt “systemischer Wirkung” dar. 

Expertin: 

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