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Scheitern Produkte und Projekte, liegt es oftmals an Missverständnissen, schlechter Zusammenarbeit oder mangelnder Kommunikation. Doch zum Glück können wir es zukünftig besser machen. Jörg Faber erklärt, wie der systemische Ansatz dabei hilft.

Die Lösung liegt in der Zukunft, daher sollten wir unseren Blick nach vorn statt nach hinten richten. Ihr findet diese Behauptung fragwürdig? Damit seid ihr nicht allein. Denn wir sind es gewohnt, den Ursachen von Problemen auf den Grund zu gehen. Wir glauben, erst wenn wir die dunkle Vergangenheit kennen, können wir die Wurzel des Übels ausreißen und Probleme von Grund auf beheben. Doch die Aufarbeitung der Vergangenheit ist aus vielerlei Gründen nicht zielführend – und vor allem unrealistisch.

Praxisbeispiel: Das beinahe gescheiterte Projekt

Ein Team arbeitet an einem Projekt, das nicht so gelingt wie geplant. Ständig tauchen neue Hindernisse auf, der Druck durch die Auftraggeber*innen wird größer. Das Team streitet immer öfter, die gegenseitigen Schuldzuweisungen und Krisensitzungen nehmen zu. Zu einer Lösung führt das trotzdem nicht.

Schließlich einigen sich Team und Auftraggeber*innen zähneknirschend, das Projekt in einer Minimallösung zu Ende zu bringen, um anschließend in Ruhe das Fiasko aufzuarbeiten. Kommt es wirklich zur Evaluierung, wird diese jedoch in der Regel nichts bringen.

Dafür gibt es mehrere Gründe:

  • Es gibt so viele Realitäten wie Beteiligte. Jede*r erlebt die Dinge unterschiedlich und konstruieren sich eine eigene Realität. Eine allgemeingültige Wahrheit gibt es nicht.
  • Die Suche nach Schuldigen steht jeglicher Objektivität im Weg. Niemand gibt gerne einen Fehler zu. Schon gar nicht im beruflichen Kontext. Das ist verständlich, denn es drohen Konsequenzen bis zum Jobverlust. Statt die vermeintliche Wahrheit ans Tageslicht zu bringen, wird diese durch Schuldzuweisungen oft noch mehr verschleiert.
  • In der Realität wird oftmals ganz oben entschieden, was in einem Projekt gut und schlecht lief. Es wird ein Narrativ festgelegt, das mit der Wirklichkeit wenig gemein hat, aber aus Sicht der Top-Entscheider*innen am sinnvollsten erscheint. In strikt hierarchisch aufgestellten Organisationen ist das leider geläufig.

In die Zukunft blicken mit dem systemischen Ansatz

Also lassen wir Vergangenes besser vergangen sein und widmen uns der Zukunft. Hierbei helfen uns Prinzipien und Techniken aus dem systemischen Coaching und der Beratung. Ein systemischer Coach wird Klient*innen dazu ermutigen, Ideen für Lösungsansätze zu finden, die frei von der Vergangenheit sind. Im Folgenden stelle ich ein Vorgehen vor, das sich bei diesen Methoden bedient und es Teams ermöglicht, selbstorganisiert einen solchen Prozess durchzuführen.

1. Die Perspektive wechseln

Eine Reihe von Frage- und Interventionstechniken hilft dabei, die Perspektive zu wechseln, die eigene Haltung zu hinterfragen und neue Ideen zuzulassen. Um euch beispielsweise eine erstrebenswerte Zukunftsvision vorzustellen, ohne euch mit der Vergangenheit oder zu vielen Details zu beschäftigen, könnt ihr euch folgende Frage stellen:

Stell dir einmal vor, über Nacht und auf magische Weise, hättest du die Lösung für dein Problem gefunden. Wie fühlt sich das an? Was ist jetzt anders? Was würdest du als Erstes machen?


Eine Übersicht mit weiteren systemischen Fragen findet ihr hier.

Diese Fragen ermutigen uns nicht nur, nach vorn zu schauen, sie eröffnen auch Perspektiven, die wir uns normalerweise nicht erlauben. Erfahrungen, Ängste und andere Hindernisse werden ausgeblendet. Das bedeutet noch nicht, dass unsere Vision sofort erreichbar ist. Indem wir sie aussprechen, gestehen wir uns jedoch ein, wie eine für uns erstrebenswerte Lösung aussehen könnte. Das ist ein wichtiger erster Schritt.

Nachdem wir uns an diesem Zukunftsbild erfreut und es etwas ausgeschmückt haben, geht es an die Konkretisierung.

2. Die richtige Haltung finden

Die Suche nach der Ursache für das Scheitern von Projekten, Produkten oder auch der Zusammenarbeit an sich ist ein natürlicher Ansatz. Wir glauben, dass es wichtig ist, herauszufinden, wo, wann und von wem die falschen Entscheidungen getroffen worden sind. Wie oben beschrieben, ist die objektive Aufarbeitung der Vergangenheit jedoch eher unwahrscheinlich.

Dennoch fühlt es sich logisch und natürlich an, im Vergangenen zu wühlen. Wir müssen also unsere Gewohnheiten ändern. Dazu braucht es zweierlei: regelmäßiges Üben und eine andere Perspektive. Vergangenes ist hauptsächlich eine Belastung

3. Jede*r handelt mit den besten Absichten

Im agilen Arbeiten gehen wir davon aus, dass etwaige Fehler aus besten Absichten entstanden sind. Wir lassen uns von der sogenannten Prime Directive leiten: 

Unabhängig davon, was wir herausfinden, sind wir davon überzeugt, dass jeder mit seinem damaligen Wissen, seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten, den verfügbaren Ressourcen und der jeweiligen Situation die bestmögliche Entscheidung getroffen hat.

Das Zitat stammt aus Norm Kerths Buch “Project Retrospectives: A Handbook for Team Review” (Übersetzung: Jörg Faber).

Auch in der systemischen Beratung gehen wir davon aus, dass niemand mit schlechter Absicht gehandelt hat. Entscheidungen sind stets mit guter Absicht getroffen worden, mit dem Ziel einen wertvollen Beitrag zu leisten.

4. Eine positive Fehlerkultur pflegen

Wenn wir verhindern wollen, dass uns negative Erfahrungen, Kränkungen, aber auch Ängste und Unsicherheiten bei der Lösungsfindung im Wege stehen, benötigen wir einen wohlwollenden Blick auf Vergangenes und auf uns selbst. Dabei helfen uns Haltungen und Perspektiven wie eine positive Fehlerkultur.

Mit einer positiven Fehlerkultur gestehen wir einander nicht nur zu, Fehler zu machen. Wir sehen in ihnen auch einen wertvollen Erkenntnisgewinn. Dies stellt einen nicht unerheblichen Perspektivenwechsel dar.

5. Um Allparteilichkeit bemühen

Als Coach, Moderator*in oder auch Führungskraft sollten wir uns um Allparteilichkeit bemühen. Dies ist eine Haltung mit “der Bereitschaft zur Identifikation und Parteilichkeit mit allen an einem System oder einem Konflikt beteiligten Personen.” Indem wir es vermeiden, eine Seite zu favorisieren und alle als gleichwertige, wichtige Perspektiven zu sehen, schaffen wir eine offene Atmosphäre, die eine echte wohlwollende Zusammenarbeit möglich wird.

Der systemische Ansatz ist auch ohne Coaching möglich

Lösungen entstehen in der Zukunft. Dafür müssen wir uns vom Ballast der Vergangenheit befreien. Dabei helfen uns die Methoden und Prinzipien aus dem systemischen Coaching. Teams können diese nutzen, um die eigenen Prozesse und das Miteinander zu verbessern. Mit etwas Engagement, Offenheit, Ausdauer und Selbstverpflichtung geht das sogar ohne Coach.

Eine Anleitung für die Umsetzung in der Praxis findet ihr hier.

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